Denken und Gedenken

Der Aufmarsch Tausender Faschist_innen in Dresden zur Erinnerung an den angebliuchen „Bombenholocaust“ steht kurz bevor und führt – wieder einmal – zum Streit unter denen, die eigentlich geschlossen gegen ihn sein müssten.
Am 13. Februar diesen Jahres ist es wieder soweit: Tausende Menschen aus dem neonazistischen und -faschistischen Spektrum werden zu einen Aufmarsch in Dresden erwartet. Sie wollen das Gedenken an die Bombardierung der Stadt im Februar 1945 nutzen, um Sympathien für sich zu sammeln.

Dafür verbreiten sie einige seit Jahrzehnten sattsam bekannte – und schon lange widerlegte – Mythen.

1. Dresden sei kein militärisches Ziel gewesen. Dresden war ein Militärstandort mit langer Tradition und wurde auch durch das Deutsche Reich weiter dafür genutzt. Die Militärkomplexe vor allem in der Albertstadt wurden während der Nazizeit kontinuierlich ausgebaut (Quelle). Dresden war weiterhin ein wichtiger Aufmarschraum für die immer näher rückende Ostfront. Gerne wird der Umstand, dass die Stadt bis dahin von Bombardierungen verschont geblieben war, als Hinweis angeführt, dass es sich ja anscheinend um kein militärisch wichtiges Ziel gehandelt haben könnte. Dies ist eindeutig falsch. Vielmehr lag Dresden den größten Teil des Krieges schlicht ausserhalb der effektiven Reichweite der Alliierten Luftflotten.

2. In Dresden – besonders auf den Elbauen – seien große Mengen Flüchtlinge konzentriert gewesen. Im Jahr 1944 erließ Gauleiter Mutschmann die Direktive, dass Durchreidende und Flüchtlinge maximal eine Nacht in der Stadt bleiben durften (siehe auch Matthias Neutzner (Hrsg.): Martha Heinrich Acht – Dresden 1944/45. Dresden 2003).

3. Den Bombenangriffen fielen 350.000 Menschen zu Opfer. Diese hohe Opferzahl wurde vom Deutschen Reich in die Welt gesetzt, um die öffentliche Meinung in den neutralen Ländern gegen die Alliierten zu beeinflussen. Nach historisch fundierten Schätzungen ist von 18.000 bis maximal 25.000 auszugehen (Quelle). Die Nazis hatten ihren ersten Schätzungen einfach eine weitere Null hinzugefügt.

4. Ganz Dresden wurde mehr oder weniger zerstört. Tatsächlich beschränkten sich die Zerstörungen fast ausschließlich auf die Altstadt. Vollständig zerstört wurden ungefähr 15% der Bausubstanz, wesentlich weniger als zum Beispiel 1940 in Rotterdam (auch wenn da die zivilen Opferzahlen deutlich niedriger waren).

Mithilfe dieser Mythen konstruieren Neonazis wie der NPD-Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag, Holger Apfel, die Legende vom „Bombenholocaust“. Schon allein durch die Namensgebung – aber auch durch die Fokussierung auf deutsche Opfer – unterstellen sie den Alliierten eine Genozidabsicht, um die deutschen Genozide während der Nazizeit zu relativieren.

Dadurch, dass ein deutsches Opfertum konstruiert werden soll, soll das Gedenken an die Opfer der deutschen Tyrannei langsam in den Hintergrund gedrängt werden und so das Bewusstsein für die deutsche Schuld und Verantwortung langfristig untergraben werden.

Es ist natürlich klar, dass nicht alle Opfer in Dresden Parteimitglieder und Kriegsverbrecher_innen waren. Hervorzuheben ist auch, das dem Angriff ein hoher Prozentsatz der wenigen noch in Dresden verbliebenen Jüdinnen und Juden und viele der nach Dresden verschleppten Zwangsarbeiter_innen zum Opfer fielen, da ihnen der Zugang zu den Luftschutzräumen verwehrt wurde. Diese Opfergruppen tauchen aber im nationalen Gedenkkonzept der Nazis gar nicht auf und auch die bürgerlichen Verfechter_innen einer Deutschen (Mit-)Opferrollen erwähnen sie maximal im Vorbeigehen.

Die Betonung der sog. „unschuldigen“ deutschen Opfer erteilt aber allen Verstorbenen die Generalabsolution und unterstützt den seit Jahrzehnten widerlegten Mythos, dass für die deutschen Verbrechen im Grunde nur Hitler oder maximal noch einige andere hochrangige Nazis verantwortlich seien.

Gerne wird Dresden auch benutzt, um eine US-Amerikansiche Täterschaft in einem angeblichen Völkermord gegen Deutsche zu behaupten. Antiamerikanismus ist aber, das haben die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte gezeigt, nichts anderes als verklausulierter Antisemitismus, zumal die ihn reproduzierenden Kreise nicht müde werden, die angebliche Einflußnahme jüdischer Gruppen auf die Amerikanische Politik in die Welt herauszuposaunen.

Erschreckend ist, wie weit ins nominell demokratische Lager hinein diese Strategie Anknüpfungspunkte findet. So wurde zum Beispiel in den 90erJahren durch die Regierung Kohl die nationale Gedenkstätte der DDR für die Opfer des Faschismus in Berlin in eine Gedenkstätte für die Opfer von „Diktatur und Krieg“ umgewandelt, unter expliziter Einbeziehung der Soldaten der Wehrmacht – deutlich gemacht auch durch die Grablegung eines „unbekannten Soldaten“, der ebenso ein unbekannter Waffen-SS-Mann sein könnte. Dadurch wurde den deutschen Soldaten, egal ob Wehrmacht oder SS, ein Persilschein ausgestellt und sie in eine Reihe mit den Opfern der deutschen Massenmorde gestellt.

Auch dieses Jahr geht dies weiter, so wird zwar zum einen immer wieder betont, dass die Nazi-Kundgebung in Dresden nicht erwünscht sei, denjenigen Menschen, die dagegen vorgehen wollen, wurde aber in den letzten Wochen juristisch die Hölle heiß gemacht. Ginge es nach der Stadtverwaltung und dem Landtag, gäbe es nur eine Lichterkette um die Altstadt, sowohl räumlich als auch zeitlich weit weg vom Aufmarsch der Nazis.

Von vielen Seiten wird in den letzten Wochen immer wieder betont, dass „extremistische“ Kundgebungen in Dresden nicht erwünscht seien, eben auch keine „linksextreme“ antifaschistische. Hier begegnet uns schon wieder eine Gleichsetzung, diesmal von Neonazis auf der einen und angeblich „linksextremen“ Gruppen auf der anderen. Es wird suggeriert, dass die antifaschistischen Menschen, die aus zum Teil sehr verschiedenen politischen Hintergründen kommen, im Grunde nicht besser seien als die, gegen die sie demonstrieren.

Für eine fundierte Auseinandersetzung mit der Extremismustheorie, die hinter diesen Aussagen steht, fehlt hier und heute der Platz, dazu wird in der nahen Zukunft noch ein Text folgen.

Festhalten lässt sich:

1. Durch die Betonung der deutschen Opfer in Dresden wird versucht, eine deutsche Opferrollen zu definieren.

2. Neonazis nutzen diese angebliche Opferrolle „der Deutschen“, um die deutschen Verbrechen zwischen 1933 und ’45 zu relativieren, beziehungsweise unter den Tisch fallen zu lassen.

3. Bürgerliche Gruppierungen, allen voran die drei bürgerlichen Parteien CDU, CSU und FDP, schließen sich wieder vermehrt dieser Deutung einer „deutschen Opferrolle“ an.

4. Es wird von bürgerlicher Seite (in Teilen bis in die SPD und die Grünen hinein) eine Gleichsetzung von Neonazis und -faschist_innen auf der einen und sog. „Linksextremen“ auf der anderen Seite vorgenommen.

5. Durch diese zwei Konzepte wird eine Relativierung der deutschen Verbrechen 1933-’45 und neonazistischer Verbrechen der letzten Jahrzehnte vorgenommen.

Ein deutscher Opfermythos hat in dieser Welt nichts zu suchen!

Die Kriminalisierung des antifaschistischen Protests ist eine Verharmlosung (neo-)nazistischer Täter_innen.

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